"Familie Großhadern"Teil I "Die Großen"Zu Teil II "Die Kleinen" |
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Angeregt durch heftige Diskussionen über das Für und Wider des Cochlea-Implantats für Kinder,
habe ich mich auf die Spuren der "CI-Familie Großhadern" begeben, um mir selber ein Bild zu machen,
wie sich die Entwicklung dieser Kinder aus Sicht ihrer Eltern tatsächlich darstellt. Insbesondere war es
mir wichtig, alle Familien zu erreichen um auch wirklich ein geschlossenes Bild zu zeichnen.
Dabei kam es mir entgegen, dass wir, meine Frau Christiane und auch ich, nach der erfolgreichen CI-Versorgung unserer Tochter Ariane-Christine im August 1996, bei der anschließenden (Re-)Habilitation Ariane-Christines, im Kinderzentrum München selber etliche andere Familien kennen lernen konnten. Diese Habilitation vollzog sich innerhalb der ersten beiden Jahre nach der Erstanpassung am 14.10.1996 in einem zweimonatigen Rhythmus. Frau und Kinder mussten sich jeweils Sonntag abends im Kinderzentrum einfinden und dann wurde bis jeweils Donnerstag, meist im Spiel angepasst, trainiert und gemessen. Alles im allen wurde es von Christiane wie Urlaub empfunden und sie denkt gerne an diese Zeit zurück. Ariane-Christines Sprachentwicklung war dann auch so positiv, dass sie seit diesem Jahr gemeinsam mit 23 Kindern aus der Nachbarschaft die Regelschule besuchen kann.
Aber nun zum Klinikum Großhadern. Am 28.07.1993 war es dann soweit, das Ärzteteam um Frau Professor Schorn und Oberarzt Prof. T.P.U. Wustrow versorgte die damals 33 Monate alte Nadine aus dem Raum Augsburg mit einem Nucleus 22. In der Zwischenzeit (Stand August 2001) sind im Klinikum insgesamt 37 Kinder mit einem Alter unter sieben Jahren mit einem CI versorgt worden.
Anfangend bei denen, die wir selber während der Habilitation kennen gelernt haben, habe ich mich immer weiter
durchgefragt. Soweit es von mir nicht anders angegeben ist, wurde bei allen Kinder eine hochgradige,
an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit diagnostiziert. Nach der Diagnosestellung wurden die Kinder
mindestens sechs Monate mit Hörgeräten versorgt und engmaschig nachkontrolliert. Die Hörreste reichten aber
nicht zum Erwerb der Lautsprache aus.
Bei keinem der Kinder sind aufgrund der Operation irgendwelche Nachfolgeschäden (z.B. Störung des
Gleichgewichtssinnes oder Schädigung des Gesichtsnerves etc.) bekannt geworden.
Die Frage, ob es sich aus ihrer Sicht gelohnt hat und ob sie es aus heutiger Sicht wieder so
machen würden, wurde von allen Eltern ausdrücklich bejaht. Ausserdem wird das CI - soweit nicht ausdrücklich erwähnt -
von allen Kindern prolemlos akzeptiert und getragen. Bei der Darstellung der Kinder habe ich
bewusst auf weitere Statistische Werte verzichtet, denn meiner Meinung nach ist jedes Kind seine eigene
Geschichte wert.
Nun zu den Kindern: (Stand 09/2001) |
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Nadine S wurde im Oktober 1990 geboren,
Sie wurde als erstes Kind im Klinikum Großhadern mit einem
Cochlear Implant (CI) versorgt. Sie besucht eine Schwerhörigenschule. |
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Nadine B. ohne Bild |
Wie der Zufall es will, heißt auch die zweite Patientin der Klinik Nadine und kommt ebenfalls aus dem Raum Augsburg.
Nadine besucht eine Schwerhörigenschule. Nadine ist jetzt in einer Phase der Selbstfindung und macht sich oft Gedanken, warum ausgerechnet sie gehörlos ist. Sie findet den Taschenprozessor nicht mehr so schick und lehnt aus diesem Grunde das CI zeitweise ab. Auch sie möchte zeitgemäße enge Bekleidung für jugendliche Damen tragen. Sie hofft, dass ihr die Krankenkasse jetzt einen HdO-Prozessor bezahlt. |
Im März 94 wurde Moritz implantiert, dessen Nucleus 22 im März 2000 durch ein Nucleus 24 ersetzt wurde. Bei seiner ersten Implantation war Moritz 3 ½ Jahre alt. Moritz hat sich sehr gut entwickelt und besucht mit Erfolg den selben Schulversuch wie Tamara. |
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Tamara aus dem Allgäu wurde im Juli 1991 geboren. Im Januar 1995 bekam sie ein Nucleus 22 und entwickelt sich bestens. Sie kann problemlos telefonieren. Ihre Schule führt derzeit einen Schulversuch mit 4 CI Kindern und 4 Schwerhörigen Kindern durch. Der Unterricht ist rein lautsprachlich. Tamara besucht ihn mit viel Erfolg. |
Im Juli 1995 kam dann die OP für Verena, die zu diesem Zeitpunkt 32 Monate alt war. Auch sie bekam ein Nucleus 22. Schon wärend der Reha waren Verenas Hör- und Sprachkompetenz ausgesprochen erfreulich. Heute telefoniert Sie sogar mit ihr nicht bekannten Personen. Verena besucht die dritte Klasse der örtlichen Regelschule
in Schwaben. In dieser Klasse waren früher 30 Kinder, jetzt sind es 22.
Verena hatte damit bisher keinerlei Probleme. |
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Cuma wurde im Dezember 1989 in Schwaben geboren. Nachdem ihm die Hörgeräte keinen Nutzen brachten,
informierten sich die Eltern über das CI, waren aber zögerlich in ihrer Entscheidung. Es bestand seinerzeit eine Regelung, wonach Kinder deren Sprachvermögen ein Jahr vor der Einschulung nicht für die Schwerhörigenschule reicht, ab diesen Zeitpunkt in ein Gehörloseninternat mussten. So kam Cuma drei Monate nach seiner OP in ein GL-Internat. In diesem Umfeld war man sehr gegen das CI. Wie die Mutter später von einigen Lehrkräften erfuhr wurde Cuma von den älteren Kindern gehänselt und beschimpft. Es dauerte nicht lange, bis er das CI nicht mehr akzeptierte. Erst als einige Jahre später weitere CI-Kinder in Cumas Klasse kamen, hat auch er wieder begonnen es zu tragen. Heute trägt er es unregelmäßig, vor allem aber in der Schule und wenn im Fernsehen ein Film läuft, an dem er Spaß hat. Cuma versteht vieles spricht aber auch heute kaum. |
Gülden stammt aus einer türkischen Familie. Ihr Nucleus 22 erhielt sie im Oktober 1995 im Alter von 4 Jahren. Gülden hat lange nicht gesprochen. Die Familie spricht mit Gülden ausschließlich Deutsch, lebt aber ansonsten in türkischer Gemeinschaft. Nachdem die Familie mit Freunden und Verwandten fast ausschließlich türkisch spricht, versteht Gülden auch viel türkisch. Bisher spricht sie aber nur Deutsch. Sie besucht erfolgreich den Allgäuer Schulversuch. |
Gülden ohne Bild |
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Michaela aus Freising erblickte im Januar 1994 das Licht der Welt, aber Töne blieben ihr von Anfang an - auch mit Hörgeräten - verborgen. Sie wurde im Alter von 23 Monaten mit einem CI versorgt und entwickelte sich fortan so positiv, dass Außenstehende von ihrer Gehörlosigkeit sehr wenig bemerken. Auch Telefonieren bereitet ihr keine Probleme. Michaela besucht seit September 2000 gemeinsam mit 28 Kindern die Regelschule, hat dort keinerlei Probleme und brachte am Ende des Schuljahres eine sehr gute Beurteilung mit nach Hause. Michaela ist im Dezember 2001 auch auf der rechten Seite mit einem CI (Cochlear Esprit 3G HdO versorgt worden. Sie hat die OP gut überstanden, zur Zeit sind wir bei der Anpassung des 2. CIs in Großhadern und haben (noch) erste Anfangsschwierigkeiten. |
Simone entwickelte sich anfangs ganz normal. Sie hörte und begann auch zu sprechen. Dann wurde sie aber immer stiller und mit ca. 2 ½ Jahren wurde ihre Gehörlosigkeit festgestellt. Die Ursache ihrer Ertaubung blieb unbekannt, eine Meningitis wurde ausgeschlossen. Nachdem ihr die Hörgeräte nicht halfen, wurde sie im Januar 1996 4 ½ jährig mit einem MedEl C40 versorgt. Ihre Sprache entwickelt sich seitdem sehr gut. Simone ist in ihrer Heimatgemeinde im Unterallgäu voll integriert. Telefonieren bereitet ihr keine Probleme und die Mutter ist nur so erstaunt, was ihr Simone so manchmal um die "Ohren haut". Sie besucht mit Erfolg den Allgäuer Schulversuch. |
Simone ohne Bild |
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Manuel wurde Juni 92 geboren und bekam im Mai 1996 ein MedEl C40. Bei Manuel kam es schon bald zu zwei seltenen Ereignissen: Statische Ladungen führten zu Stromschlägen des CI's. Das waren für Manuel zwei negative Erfahrungen und er wollte anschließend bei der Reha nicht mehr richtig mitarbeiten. Sein Vater schätzt, dass er dadurch in seiner Hör- und Sprachentwicklung ca. ein ¾ Jahr verloren hat. Manuel wurde in die nächstgelegene Schwerhörigenschule eingeschult, die Fahrzeit war aber nicht zumutbar. Also wechselte die Familie den Wohnort. Nachdem Manuel an seinen neuen Wohnort erfahren musste, dass die Kinder dort nicht mit einem behinderten Kind spielen wollten, ist die Familie wieder ins Werdenfelser Land zurückgezogen und dort geht Manuel jetzt in die 2. Klasse der Regelschule. Es ist unerklärlich, warum er einen Platz in der hintersten Reihe bekommen hat und so verwundert es nicht, dass er an manchen Tagen klagt: "Heute habe ich überhaupt nichts mitbekommen". Manuel kann telefonieren und ist jetzt sozial am Wohnort integriert. Die Eltern seiner Mitschüler
lernen langsam dass er eine Bereicherung ist, denn sie stellen fest, dass ihre eigenen Kinder seit dem
Manuel dort ist eine viel bessere Aussprache erwerben, konzentrierter und auch ruhiger sind.
Manuel besucht seit November 2001 ein Schwerhörigenschule |
Im Juni 1996 bekam Linda ein MedEl C40 Implantat. Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits 5 ½ Jahre alt. Einer früheren Implantation wurde Lindas Eltern abgeraten, weil die Hörreste für einen Spracherwerb ausreichen sollten. Durch das CI verbesserte sich Lindas Hör- und Sprachvermögen erheblich. Sie besucht jetzt ohne Probleme eine Schwerhörigenschule. |
Linda ohne Bild |
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Ariane-Christine Timm, wurde im August 1996 im Alter von 21 Monaten mit einem MedEl C40+ versorgt. Nach der Erstanpassung, hat sie sich in eine stille Ecke verzogen und ihr CI in alle Einzelteile zerlegt. Danach war es aktzeptiert und Ariane verlangte morgens nach ihrem "Hören". Zeitweise wollte sie es Abends nicht hergeben. Heute zieht sie es Morgens als erstes an. Wir haben die Entscheidung bis heute nicht bereut. Außenstehende merken von ihren Behinderung kaum etwas. Sie telefoniert problemlos und ist in der Nachbarschaft sozial integriert. Seitdem Ariane im September in der örtlichen Regelschule ist und den Schulweg morgens gemeinsam mit den Kindern aus der Nachbarschaft macht, lebt sie noch mehr auf. |
Bei Johannes wurde die Gehörlosigkeit mit 11 Monaten festgestellt und er bekam Hörgeräte.
Die Eltern waren sich lange nicht sicher, ob das CI der richtige Weg für ihn sei.
Im Oktober 1996 bekam er im Alter von 24 Monaten ein MedEl C40+, welches im August 1997 seinen
Dienst versagte. Er wurde sofort in der Uniklinik Würzburg reimplantiert. Als Grund für den Ausfall
wurde Deformation des CI durch einen Sturz festgestellt. Johannes überstand beide Operationen gut und
besuchte einen Integrativen Kindergarten.
Seine Hör- und Sprachentwicklung war so gut, dass er seit September 2001 die örtliche Regelschule mit 22 Kindern besuchen kann. Probleme hat er dort bisher nicht. |
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Stephan wurde im November 94 geboren und erhielt mit 28 Monaten ein MedEl C40+. Nach dessen Ausfall im Januar 1999 bekam er in Freiburg ein Nucleus 24. Damit verbunden war ein Wechsel der verwendeten Hörstrategie (CIS/ACE). Seine überaus positive Hör- und Sprachentwicklung wurde durch den Ausfall nur kurz unterbrochen. Stephan telefoniert problemlos. Außenstehende bemerken seine Behinderung nicht. Er wurde im September 2001 in die örtliche Regelschule eingeschult. |
Alexander wurde im Januar 1997 mit einem MedEl C40+ versorgt. Er war zu diesem Zeitpunkt 3 ¼ Jahre alt. Er kam mittlerweile sehr gut zur Lautsprache und telefoniert mit Freunden. Nach dem Ausfall seines CI im September 2001 wurde er innerhalb von drei Tagen reimplantiert. In der rund vierwöchigen Phase ohne CI, beobachteten die Eltern bei Alexander zunehmend die selben Aggressionen, wie sie auch vor der Erstversorgung vorhanden waren. Diese sind nach zwei Anpassungsterminen wieder verschwunden und man merkt, dass es wieder voran geht. Er besucht eine Schule für Schwerhörige in Schwaben. |
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Pero ohne Bild |
Pero's Eltern waren für mich bis heute nicht erreichbar. Von anderen Familien konnte ich erfahren, dass er 1993 geboren ist und im Mai 1997 ein Nucleus 24 erhielt. Da keine Aussage der Eltern zu erhalten ist, kann keine Angabe über Erfolg oder Misserfolg der CI Versorgung gemacht werden. |
Bei Patrick ist seine Hörschädigung erst nach 18 Monaten bemerkt worden. Als er 2 Jahre alt war wurde diese diagnostisch bestätigt. Hörgeräte wollte Patrick nicht akzeptieren. Er bekam im November 1997 im Alter von 50 Monaten ein Nucleus 24. Seine Hör- und Sprachentwicklung ging bis zu seiner Einschulung im September nur langsam voran. Er besucht eine Gehörlosenschule. Mittlerweile geht die Sprachentwicklung voran und die Eltern überlegen, ob er ab dem nächsten Schuljahr die Schwerhörigenschule besuchen kann. |
Patrick ohne Bild |
Den Abschluß dieser ersten Gruppe bildet Vanessa.
Sie ist erst mit 18. Monaten ertaubt Bei ihrer OP im Dezember 1997 war sie
4 ½ Jahre alt. Auch sie trägt ein MedEl C40+. An ihrem ursprünglichen, fränkischen
Wohnort gab es innerhalb akzeptabler Entfernung keine Fördermöglichkeiten für sie.
Die Familie verlegte ihren Wohnort nach Oberbayern.
Vanessa besucht seit 09/2000 eine Schule für Schwerhörige. Sie beginnt jetzt laut zu lesen.
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Diese Ausführungen stellen nur ein Minimum dessen dar, was mir von den Eltern in teilweise stundenlangen Gesprächen mitgeteilt wurde. Wenn ich an diese Stelle bereits ein Resümee ziehe, dann Folgendes: Vor allem frühzeitig versorgte Kinder haben eine sehr große Chance, bis zu ihrer Einschulung eine Hör- und Sprachkompetenz zu erwerben, die zum Besuch der Regelschule ausreicht. Derzeitiger Schwachpunkt scheint in meinen Augen die Haltbarkeit der Implantate zu sein. Bei meinen Recherchen führte ich auch etliche Gespräche mit Eltern deren Kinder in anderen Kliniken versorgt wurden. Wenngleich ich aus diesen Kliniken keine 100% Erfassung der Kinder vornahm, bestätigen diese Gespräche alle Tendenzen, die sich auch in der "Familie Großhadern" zeigen. Bei allen Gesprächspartnern und Helfern möchte ich mich für die ausnahmslos netten Gesprächen bedanken. Dies gilt insbesondere für meine Frau Christiane, die nicht nur selber bei der Recherche half, sondern auch Geduld mit mir zeigte. Allen Kindern wünsche ich weiterhin einen positiven Verlauf ihrer Entwicklung. Ich möchte engagierten Eltern, die ihr Kind an einer anderen Klinik versorgen ließen auffordern meinem Beispiel zu folgen.
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